"Ich bin mit drei Sünden nach Iburg gekommen“
- Jörg Peterkord
- 3. Juni
- 6 Min. Lesezeit
Nazih Musharbash wird am 9. März im Rittersaal des Schlosses der Bad Iburger Courage-Preis 2025 verliehen

Was ist couragierter in dieser Zeit? In den besetzten Gebieten Palästinas für Demokratie und Freiheit oder in Deutschland für die Rechte der Palästinenser zu werben?
Nazih Musharbash: Jeder Mensch, der für seine Freiheit kämpft, hat es verdient als couragiert bezeichnet zu werden. Und damit meine ich bestimmt nicht den bewaffneten Kampf. Zunehmend wird es für mich schwieriger in Deutschland auf politischer Ebene für die Rechte der Palästinenser zu werben. Eine Frau erklärte mir heute auf dem Wochenmarkt, sie wähle
grundsätzlich nicht. Und da habe ich mir gedacht, es gibt Menschen, die dazu bereit sind, ihr Leben für Freiheit und freie Wahlen zu opfern. Das ist nämlich keine Selbstverständlichkeit
Vergisst man das hier stärker als andernorts in der Welt?
Ja, leider. Demokratie braucht Demokraten, die sich ständig dafür einsetzen. Gerade jetzt in dieser Zeit. Was wir zurzeit von den USA erfahren dürfen ist alarmierend und beschä
mend. Und es geschieht unter der Fahne der Freiheit, die missbraucht und instrumentalisiert wird.
Wie sehr freut Sie öffentliche Anerkennung vom Komitee Courage, also gewissermaßen aus der Mitte ihrer 2. Heimat, zu erhalten?
Das ist für mich eine große Ehre. Das ist ja hier in Bad Iburg die höchste Auszeichnung einer bürgerlichen Institution. Wenn das Komitee mich da aussucht, empfinde ich das als Wertschätzung und Anerkennung meiner Arbeit. Mit Sicherheit gibt es noch eine Reihe anderer Personen, die das verdient hätten. Die Auswahl meiner Person erfüllt mich wirklich mit Freude und Dankbarkeit.
Sie unterscheiden zwischen emotionaler und rationaler Heimat. Was meinen Sie damit?
Die emotionale Heimat, ist die Heimat, mit der man vertraut ist, in der man geboren und aufgewachsen ist und seine Jugend- und Schulzeit verbracht hat. Für mich ist das Jordanien gewesen und dann später mit der Trennung Palästinas eben Palästina, als ich unter schwierigen Umständen nach Bethlehem gekommen bin und dort dann mein Abitur gemacht
habe. So gesehen habe ich zwei emotionale Heimaten. Seit 60 Jahren lebe ich in Deutschland, weil ich hier und nicht etwa in den USA studiert habe. Deshalb spreche ich von einer rati
onalen Heimat. Somit habe ich drei Heimaten. Und wer hat das schon?
Aber mit ihrer „rationalen“ Heimat verbinden Sie mittlerweile sicherlich auch ein Gefühl?
Natürlich. Mittlerweile hat sich da auch eine tiefe Verbundenheit entwickelt. Ich empfinde Bad Iburg als meine Heimatstadt und nicht als eine Ersatzheimat. Es gibt
keine erste, zweite oder dritte Heimat. Ich habe drei Kinder und liebe sie alle gleich und mache keine Unterschiede. So geht es mir auch mit meinen Heimaten.
Wie wichtig ist es für die demokratische Verfasstheit eines deutschen Staates, Menschen mehrerer Heimaten eine doppelte Staatsbürgerschaft zuzubilligen?
Es gibt leider viele Politiker und Politikerinnen, die meinen, man könne nur einem Staat gegen-über loyal sein. Dieser These widerspreche ich. Deswegen spreche ich mich eindeutig für die doppelte Staatsbürgerschaft aus. Als ich mich entschieden habe die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, musste ich die jordanische Staatsbürgerschaft abgegeben. Das hat
sich geändert. Glücklicherweise.
Es ist gerade in Wahlkampfzeiten immer mal wieder ein Thema und wird aktuell in Zusammenhang mit der Migrations- und Sicherheitsdebatte angesprochen. Wie
empfinden Sie das?
Ich verfolge die Ausländerpolitik seitdem ich 1965 in Deutschland angekommen bin. Und die Problematik tauchte immer als Thema in Wahlkampfzeiten auf.
Die aktuelle Debatte um die Migrationspolitik hat alles überschattet, als hätten wir keine anderen Probleme. Sie ist schäbig, weil fast jeder Mensch mit Migrationshintergrund unter Generalverdacht gestellt worden ist. Meine Kinder und Enkelkinder werden nach der normierten Sprachregelung als Menschen mit Migrationshintergrund bezeichnet. Damit kann ich leben. Aber wie viele Hetzer pauschalisieren jetzt diesen Begriff und verbinden ihn mit Attentaten? Das ist so schädlich und ein wesentliches Ergebnis dieser schäbigen Debatte. Ich bin ja seinerzeit mit drei „Sünden“ nach Iburg gekommen.
Welche Sünden meinen Sie?
Ich war Ausländer in Deutschland, evangelisch in einer katholischen geprägten Umgebung und später auch noch SPD-Mitglied in einer von der CDU dominierten Region. Damit war ich ja in dreifacher Hinsicht nicht „normal“. Und dennoch ist es mir gelungen, so viel Unterstützung, so viel Zuwendung, so viel Wählerpotential gewinnen zu können in meiner Stadt. Das ist nur möglich gewesen, weil sich die Menschen hier in Iburg darauf eingelassen haben. Integration ist ja ein Geben und Nehmen.
Wesentlicher Grund der Ehrung ist ihr vehementes Engagement für ein friedliches Miteinander in der Konfliktregion im Nahen Osten. Was nährt ihre Hoffnung, dass es sich lohnt für diesen scheinbar unlösbaren Konflikt seit mehr als 50 Jahren zu kämpfen?
Zunächst einmal setze ich mich für eine friedliche Lösung, Dialog und Völkerverständigung schlechthin ein. Ich spreche mich ganz klar gegen Gewalt und Krieg aus. Das lohnt sich immer. Mir ist es mit den vielen Aktivitäten der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft (DPG) gelungen, viele Bürger zu erreichen und umfassender über den Konflikt in Nahost zu informieren. Die politische und auch mediale Lesart des Konflikts hier in Deutschland ist einfach pro-israelisch wegen der Shoah und der Nazi-Zeit. Natürlich hat Deutschland eine Verpflichtung gegenüber Juden und dem Judentum. Aber nicht gegenüber einem Staat und einer Politik, die alles andere tut als eine friedliche Lösung zu ermöglichen.
Wenn ich keine Hoffnung hätte, würde ich mich nicht dafür einsetzen.
Nazih Musharbash
Können Sie die von Ihnen gemeinte Kritik genauer erklären?
Ich kritisiere den fortlaufenden, völkerrechtswidrigen Siedlungsbau auf beschlagnahmtem palästinensischem Grund und Boden. Ich spreche mich gegen die Annexion und gegen
die Vertreibung der Palästinenser aus ihrer Heimat und gegen die erdrückende israelische Besatzung aus. Diese Kritik an der israelischen Politik wird jedoch oft als antisemitisch bewertet
und bewusst instrumentalisiert. Diese Gleichsetzung bezichtigt mich des Antisemitismus und will mich dadurch an meiner berechtigten Kritik hindern.
Die Hoffnung auf eine friedliche Lösung haben Sie noch nicht aufgegeben. Was können Menschen in Bad Iburg für ihren Alltag daraus lernen?
Auch wenn der Konflikt unlösbar erscheint, ist ja nicht bewiesen, dass er unlösbar ist. Das Problem ist lösbar. Wenn ich keine Hoffnung hätte, würde ich mich nicht dafür einsetzen. Ich
verliere wohl zwischendurch die Geduld, wenn es mal wieder zu einer neuen Eskalation kommt. Wenn ich keine Hoffnung hätte, würde ich meine Arbeit sofort einstellen. Ähnlich habe ich
meine kommunalpolitische Arbeit im Rat der Stadt Bad Iburg verstanden. Trotz vieler Niederlagen habe ich immer für meine Überzeugung gearbeitet und habe dadurch auch einiges erreicht.
Hat sich Volker Beck, Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), bei Ihnen schon gemeldet? Sie haben in einem Interview an geboten, ihn in die DPG aufzunehmen und Sie würden dann auch in die DIG eintreten.
Nein, er hat sich bei mir nie gemeldet. Im Gegenteil. Ich habe ihn sogar angeschrieben. Wir mögen einmal in Ruhe und öffentlich zusammen diskutieren. Er antwortete mir, er wolle kein
öffentliches Aufheben darum machen. Ich möge doch einfach zu ihm ins Büro kommen. Bei anderer Gelegenheit hat er mich bei einer Diskussion für den Deutschlandfunk aufgefordert, ich sollte gegen Hamas demonstrieren. Daraufhin habe ich vorgeschlagen, ich würde nach Berlin kommen, wenn er gegen Netanjahu demonstriere. Auf den Vorschlag hat er nicht
geantwortet.
Eigentlich kurios. DIG und DPG werben dafür, dass sich Israelis und Palästinenser friedlich einigen mögen und können das nicht gemeinsam tun?
Ja stimmt. Wenn wir das hier nicht hinbekommen, wie können wir das dann von anderen erwarten? Ich bin immer gesprächsbereit.
Wie sehr trifft Sie es, wenn Ihnen vorgeworfen wird, sie würden sich nicht klar genug von der Hamas abgrenzen, obwohl die DPG den Hamas Terror wiederholt klar und deutlich verurteilt hat?
Wir haben den Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 stets auf das Schärfste verurteilt. Die aktuelle Politik richtet sich auf neue Themen, auf neue Vertreibungen im Gaza-Streifen. Mit
der Folge, dass der Gaza-Streifen womöglich bald menschenleer sein wird. Darüber muss man auch reden.
Kann so eine selektiv adressierte Aufforderung zu einem Bekenntnis überhaupt funktionieren?
Wenn jetzt alle hier lebenden Palästinenser, Arabischstämmige und Muslime, so wie es der Bundespräsident und Habeck es auch gesagt haben, aufgefordert werden, sich von der
Hamas und Antisemitismus zu distanzieren, dann wird da indirekt ein Generalverdacht auf alle hier lebenden Palästinenser, Arabischstämmige und Muslime formuliert. Ich fühle
mich von diesem Generalverdacht nicht nur angesprochen, sondern zu tiefst betroffen. Hat denn der Bundespräsident alle deutschsprachigen Menschen und alle Christen aufgefordert,
sich vom NSU-Terror zu distanzieren? Nein, das hat er nicht.
Sie haben unter anderem den Konzertauftritt von Aeham Ahmad am GBI im August 2024 und von Mohammad-Ali Behboudi in der Rolle des Dr. Izzeldin Abuelaish Ende 2023 organisiert. Was bedeutet Ihnen diese Art von Bildungsarbeit?
Ich bin ja Pädagoge und meine, wenn wir zukünftig eine friedlichere Welt haben wollen, müssen wir die Kinder, Schülerinnen und Schüler befähigen, so zu denken: Der Frieden, den wir ha
ben, ist nicht selbstverständlich, sondern muss erarbeitet werden. Und ich setze dabei auch auf die emotionale Ansprache von Musik- und Theateraufführungen. Solch ein Konzert auch
kurz nach dem Attentat von Solingen aufzuführen, erfordert auch Courage von den Gastgebern. Da bin ich dem Gymnasium Bad Iburg sehr dankbar.
Vielen Dank für das Gespräch! jpe
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